Freitag, 18. November 2011
Das Dilemma der Dicken
boennsche, 14:36h
In was für einer Welt leben wir eigentlich inzwischen? Wo haben wir uns nur hin entwickelt? Sehen wir den Wert eines Menschen überhaupt noch als das, was es ist - ein Wert halt? Heute. Im Jahr 2011, nicht 2111.
Jeder sollte für sich selber einmal die Frage danach stellen, wie er / sie Menschen sieht, in seiner Ganzheit wahrnimmt und letztlich beurteilt.
Auch vorurteilt. Oder den Menschen auch nicht als Menschen wahrnimmt.
Das, was mir aktuell passiert ist, lässt mich in einer Art Schockstarre zurück. Ein Schock über das, was mittlerweile unsere Gesellschaft ausmacht.
Aber zum eigentlichen Thema:
Da ich bereits seit Beginn meiner Pubertät mit Übergewicht zu kämpfen habe, hatte ich im Laufe der 30 Jahre reichlich Gelegenheit mich an böse Sprüche, abschätzende Blicke, geringschätzig grinsende Gesichter und mehr Menschen, die sich ab- als zuwenden zu gewöhnen.
Nur heute erreichten die Unverschämtheiten einen ähnlichen Höhepunkt wie mein derzeitiges Gewicht.
Nach Einreichen meiner Bewerbungsunterlagen bei einem bekannten und renommierten Personalberater in Düsseldorf für eine interne Stellenbesetzung wurde ich sehr rasch zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Am Gesprächstermin ließ man mich das berühmte akademische Viertelstündchen warten, bis der Geschäftsführer des Hauses mich zum Gespräch in sein Büro abholte. Nach dem üblichen Geplänkel stellte er die Firma, deren Gründungsgeschichte und das aktuelle Tätigkeitsfeld dar.
Er stellte die üblichen Fragen nach Motivation der Bewerbung, Wechselmotivation, derzeitiges Aufgabenspektrum, etc. Dann nahm er meine zusätzlich mitgebrachte Papierbewerbung in die Hand, hielt das Deckblatt hoch und fragte: „Wie viele Jahre ist das Foto alt?“
Mir blieb die Spucke weg. Da ich selber seit Jahren in der Personalbeschaffung und –auswahl tätig bin und täglich Bewerbungsunterlagen vor mir habe, bewerte und diese natürlich auch regelmäßig mit dem „lebenden Objekt“ abgleiche, weiß ich, wie wichtig gute und authentische Unterlagen sind. Somit ist mein Foto lediglich ein gutes Jahr alt. Aber der 70jährige war der Meinung, dass zwischen dem Foto und meiner Person Welten lägen. Ich fragte – natürlich – wie er das meine. Nach anfänglich leichter Zurückhaltung fragte er dann, was mit mir passiert sei und ob ich nicht mal darüber nachgedacht hätte, abzunehmen.
Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt, dass sich meine Gedanken und Gefühle seit 30 Jahren um kaum andere Dinge kreisen, denn selbst mir ist nicht entgangen, dass „da draußen“ ein Schönheitsideal existiert, welches mit einem BMI von maximal 20 einhergeht und sicherlich nicht bei 40 liegt.
Ein täglich zermürbender Kampf, wenn man erst mal in diesem Teufelskreis gefangen ist. Seit wenigen Jahren weiß ich nun zumindest, warum mein Kampf gegen das stetig steigende Gewicht eine solche Sisyphus-Arbeit ist. Gegen meine Stoffwechsel-Hormon-Störung ist nur ein Kraut gewachsen bzw. nur eine Pille gedreht und genau dieses Pillchen vertrage ich nicht.
Somit bin ich der Wucht des Problems schutzlos ausgeliefert und finde nach 30 Jahren Kampf kaum noch Kraft, um auch nur darüber nachzudenken.
Der geneigte Leser mag denken: „Mann, die soll doch einfach mal Kalorien reduzieren und etwas Sport machen, dann klappt es auch mit dem Abnehmen.“
Ja, glaubt ihr denn wirklich, dass wir Dicken nicht schon alles Mögliche probiert haben? Nur ein Bruchteil aller Übergewichtigen dümpelt dumpf vor sich hin und registriert all die Ausgrenzungen und Anfeindungen nicht. Dieses sind dann zumeist die Chips und Schokolade fressenden Coach-Potatoes, die mit ihren fett triefenden Kletsch-Haaren und mit ihrem alten Schweiß-Geruch in den zwei Nummern zu kleinen Plastik-Klamotten die Welt belästigen. Von DENEN rede ich hier nicht.
Ich rede von den Kämpfern. Von all denen, die – aus welchen individuellen Gründen auch immer – in das Martyrium des Übergewichts geraten sind. Die, die meist mit 15 oder 16 ihre erste Diät hinter sich haben. Die, die danach mehr zunehmen, als sie abgenommen haben. Die, die in ihrer Not nach jedem Strohhalm greifen und immer frustrierter feststellen müssen, dass es eben doch nur ein Strohhalm und kein Baumstamm war. Die, die nahezu alles über sich ergehen lassen:
Sich Nadeln in die Ohren stecken lassen, um wochenlang keinen Hunger zu haben und außer Wasser nichts zu sich zu nehmen. Die, die sich morgens schon zwingen, stinkende Kohlsuppe zu löffeln. Die, die wochenlang ihre Zähne nur noch zum Zähne putzen und zum Aufreißen der Pulverbeutel benutzen, um sich nur von Flüssig-Shakes zu ernähren.
Die, die jede Information über Ernährung aufsaugen, als müssten sie erst lernen wie man atmet. Die, die sich von nahezu jedem dahergelaufenen Menschen sagen lassen (müssen), wie sie „richtig“ essen.
Die, die Kohlenhydrate weg lassen. Die, die Fett weg lassen. Die, die Eiweiß weg lassen. Die, die Obst wegen des hohen Fruchtzuckergehalts weg lassen. Die, die nur noch bestimmte Gemüsesorten essen. Die, die nur Light-Getränke trinken und die sich dann anhören müssen, wie schädlich das sei und die dann noch nicht mal mehr den Kaffee (mit oder ohne Süßstoff) genießen dürfen, weil ihr Tag morgens schon mit Wasser beginnen und abends enden muss. Die, die sich striktesten und eingeschränktesten Ernährungsplänen –den Bibeln – unterwerfen.
Die, die sich mit Freundinnen nicht mehr einfach zum Quatschen, Lästern, Kaffee – oder gar Bier (igittigitt) trinken verabreden können, sondern nur noch Dates zum Walken, Schwimmen, gemeinsames Aqua-Jogging, zum Ernährungsplan-Vergleich, zum Radeln, Scaten oder bestenfalls zum mit-dem-Hund-stramm-Gassi-gehen ausmachen.
Ich spreche von den Menschen, die über mehr oder weniger Jahre mehr oder weniger intensiv gegen jedes Mikrogramm Fett ankämpfen und es dadurch – natürlich – nur noch schlimmer machen. Von denen, die es von vorne herein nie gelernt oder auch im Laufe der Jahre verlernt haben, ein gesundes, „normales“ Verhältnis zum Essen zu entwickeln.
Die irgendwann noch nicht mal mehr Hunger von Durst unterscheiden können. Von denen, die irgendwann so verunsichert sind, dass sie auf die Uhr schauen müssen, um zu wissen, ob sie nun Hunger haben dürfen oder auch nicht. Ich spreche von denen, die sich zunehmend – im wahrsten Sinne – nicht mehr trauen unter Leute zu gehen. Die sich inzwischen so selbstkritisch betrachten, dass aus jedem Spiegel ein Zerrspiegel wird, der den Körper unförmig in die Breite zieht. Und die sich dann – da sie es ja eh schon so wahrnehmen – auch tatsächlich dahin entwickeln und immer breiter werden, da jeder weitere Versuch doch noch schlanker zu werden, ins Gegenteil schlägt.
Die, die immer mehr Selbstzweifel plagen und immer mehr Vertrauen in sich selbst verlieren. Von denen rede ich hier.
Und all diejenigen wissen haargenau, wovon ich rede.
Von dem Schmerz. Von dem Schmerz und der Wut über sich selbst und auf die Welt. Von der Verzweiflung. Von durchwachten und –weinten Nächten. Von Tagen voller Frustration und Angst. Angst davor, niemals ein „normales“ Leben leben zu können. Angst, niemals einen liebenden Partner an der Seite haben zu können, der einen akzeptiert wie man ist, als liebenswerten Menschen. Von dem Gefühl, aufgrund der Kilos schlichtweg der Liebe nicht wert zu sein. Von dem aufkommenden Ekel über sich selbst. Von dem Verlust des Glaubens an sich und dem Verlust der Hoffnung, es doch noch zu schaffen. Von Ausgrenzung und Einsamkeit.
Aber auch von der Dankbarkeit über die paar wenigen aufrichtigen Freunde, die man hat. Freunde, die diesen dicken Menschen nicht nur auf eine Körperform oder –fülle reduzieren, sondern ihn vielmehr in seiner Gesamtheit wahrnehmen. Freunde, die gegenseitig füreinander einstehen. Die die inneren Werte wahrnehmen und Wert schätzen. Die vielleicht sogar vergessen, dass man dick ist. Die einen mit liebevollem Blick betrachten.
Von der Dankbarkeit um diese Freunde spreche ich, die einen jeden Morgen wieder aufstehen lässt. Die doch noch an das Gute im Menschen glauben lässt. Die hilft, die Dinge der Welt differenziert zu betrachten. Genau diese Dankbarkeit ist es, die einen dann doch wieder und wieder kämpfen lässt.
Aber wenn man in einem edel durchdesignten Büro mit einem Menschen sitzt, der in genau dem Moment die Macht des cäsarischen Daumens „Top“ oder „Flop“ inne hat, der einem direkt ins Gesicht sagt: „Du bist zu fett für einen Job.“ ist nichts mehr von Dankbarkeit, Hoffnung, Kämpferwillen übrig. Bei mir zumindest nicht.
Und als dieser Personalberater vor mir saß, und mir erklärte, dass er fachlich nichts gegen mich einzuwenden hätte, dass er mir den Job ohne Weiteres zutraue, dass ich sicherlich eine patente Frau sei, mit der man Pferde stehlen könne, dass ich einen tollen Lebenslauf habe und ein hohes Maß an Kompetenzen mitbringe, aber dass er mich mit diesem Übergewicht nicht seinen Kunden zumuten könne, ist alles in mir in seine einzelnen Bestandteile zerfallen. Mein letztes Fünkchen Selbstwert hatte sich sozusagen im gleichen Moment atomisiert.
Als ob das nicht schon genügen würde, haute er weiter und immer kräftiger in diese Kerbe. „Mensch, machen Sie doch mal Sport. Lassen Sie sich doch nicht so gehen. Sie sind doch eine Frau, Sie wollen doch auch mal schöne Kleider kaufen und nicht immer nur bei Größe XXL schauen. Sie wollen doch auch begehrt werden und bewundernde Blicke auf sich ziehen. Tun Sie doch mal was.“
Jedes Wort, jeder Satz wie ein Fausthieb. Und immer mitten in die Fresse rein.
„Ich meine es doch nur gut mit Ihnen!“ Na klar! Gott sei Dank gibt es solche Gutmenschen unter uns. Was würden wir nur ohne sie tun?
Das Schlimme, Erschreckende, Schockierende an der Sache ist, dass er letztlich gar nicht der Böse, der Buhmann, das Arschloch ist, für das man ihn halten könnte. Er spricht doch nur das aus, was in unserer so genannten „sozialen“ Welt inzwischen Usus ist. Was halt einfach gedacht wird. Was „normal“ geworden ist. Es zählt der schlanke, schönheitskorrigierte und –operierte Botoxkörper und nicht das, was uns Menschen im Gesamten ausmacht. Die Hülle ist wichtiger als das, was drin steckt. Das da drinnen kann hohl und dumm, hinterlistig und falsch und schlicht oberflächlich sein und es ist völlig egal, solange es in einem nahezu perfekten Körper steckt.
Menschen mit sichtbaren Gebrechen jedweder Art sind ja schon gleich so oder so außen vor. Menschen mit Übergewicht sind gleich stigmatisiert.
Völlig selbstverständlich und ganz automatisch meint jeder zu wissen, woran „das“ liegt. Man muss eben einfach nur mal weniger essen und sich mehr bewegen. Ganz automatisch und völlig selbstverständlich wird jedem Dicken unterstellt, er sei faul und dabei gefräßig wie die Raupe Nimmersatt.
Ohne die näheren Umstände zu kennen wird gleich davon ausgegangen, dass wir Dicken immer einfach nur disziplinlos seien. Welch Frevel in einem Land mit preußischen Traditionen. Wir Dicke – so meint man im Allgemeinen – lassen uns ständig gehen. Wir sind uns egal. Wir haben keinen Willen, noch nicht mal Ziele.
Jeder von uns Dicken hat irgendwann schon einmal zu hören bekommen, dass man doch mal weniger essen und mehr Sport machen solle. Dass unser Problem eventuell deutlich vielfältiger sein könnte, bleibt völlig unbeachtet.
Wer würde auf die Idee kommen, einer Magersüchtigen zu sagen, sie solle doch mal wieder etwas zunehmen und sie müsse doch einfach nur etwas mehr essen.
Wer würde auf die Idee kommen, einem Junkie zu sagen, er solle doch mal etwas weniger Heroin spritzen. Er müsse doch nur damit aufhören, dann kommt der Rest schon von allein.
Oder der Alkoholiker, der doch einfach mal nur eine, statt zwei Flaschen Schnaps trinken solle.
Und Junkies, Alkoholiker, alle stofflich gebunden Süchtigen haben sogar noch das „Glück“, dass sie tatsächlich „nur“ den Suchtstoff weglassen müssten.
Mit einer Eßproblematik sieht das gleich ganz anders aus. Und genau da liegt aber auch das Dilemma. Jeder tut es, das essen, und somit meint jeder, sich damit auszukennen. Und die, bei denen es „schief“ geht, müssen es doch einfach nur „anders“ machen. Einfach. Sich halt einfach nicht so gehen lassen. Sich wichtiger nehmen. Sich mehr pflegen.
Jeder meint zu wissen, dass man – also die Dicken – doch einfach nur den Arsch hochkriegen müssten. Unser Leidensweg steht uns halt nicht ins Gesicht geschrieben. Noch nicht mal auf den Bauch oder den fetten Arsch.
Wer von Euch „naturschlanken“ Menschen hat überhaupt jemals darüber nachgedacht, wie es ist, dick und unförmig zu sein? Sich seiner Selbst zu schämen. Wer hat jemals den Arzt ansprechen müssen: „Herr, oder Frau Doktor, bitte helfen Sie mir, ich weiß nicht mehr weiter und ich schaffe es nicht alleine.“ Und wer hat die typische Antwort gehört? „Dann gehen Sie doch zu den Weight Watchers.“
Da war ich schon. Mehrmals. Und in mehr als drei Monaten habe ich mir mühsam knapp vier Kilo runter gerackert. Und wenn dann ein Ereignis eintritt, dass einen zusätzlich aus der Bahn wirft, ist einfach nicht mehr viel mit Kämpfen und Weiterrackern. Nicht nach 127 Abnehmversuchen jedweder Art in 30 Jahren. Das ist unmenschlich.
Es soll mir einer zeigen, wie es funktioniert. Ich mache es. Wirklich! Wenn es funktioniert – und zwar auf Dauer! – mache ich es. Aber keine Selbstkasteiungen mehr. Essen und Hunger als Qual. Und nicht als Lebensquell. Wenn essen und jede Mahlzeit zum Alptraum wird, läuft schwer was schief.
Aber wie kommt man denn überhaupt erst dahin? Die Gründe sind genauso vielfältig wie individuell. Unter Umständen genauso wie eine magersüchtige Person. Nur anders herum.
Wir Dicken kompensieren negative Gefühle häufig mit Essen. Wir haben als Kind Aussagen und Befehle gehört wie „Iss den Teller leer, sonst gibt’s morgen schlechtes Wetter!“ oder „Sei ein braves Kind und iss auf!“ oder „Wenn Du Mami lieb hast, isst Du noch etwas mehr.“
Wir haben Haufen auf unsere Teller geschaufelt bekommen und wollten ja nun nicht für schlechtes Wetter verantwortlich sein. Wir bekamen Süßigkeiten als Belohnung und wurden bestraft, indem wir ohne Essen ins Bett mussten.
So haben wir von klein auf schon nicht lernen können, auf unseren Körper zu hören. Hunger und Sättigungsgefühle wurden uns systematisch aberzogen. Wenn man dann noch in einer unsportlichen Familie aufgewachsen ist, wurden die Weichen für das Dilemma mit dem dicken Ende früh gestellt.
Unsere Elterngeneration will ich hier gar nicht anklagen. Die haben, wie die meisten Eltern, nur das Beste für ihre Kinder gewollt. Als Kriegskinder haben die sicherlich auch in der Regel keine gesunde Einstellung zum Essen entwickeln können. Froh, die Kinder durchzubringen und in ständiger Angst, dass die eigene Brut so hungern muss wie sie selbst, sind sie schlichtweg nicht frei in der „Essenserziehung“ gewesen.
Meine Generation ist oftmals aufgewachsen vor dem Hintergrund, dass ja plötzlich nichts mehr zu essen da sein könnte. Also musste man uns Kinder motivieren, bei jeder Mahlzeit so viel wie es eben geht, zu sich zu nehmen. Dass immer genug da ist, wurde und wird oft schlichtweg missachtet.
So, und wenn dann zu all diesem Dilemma noch oben drauf eine Stoffwechselstörung mit Hormonungleichgewicht kommt, soll mir bitte Jemand die Chance auf ein schlankes Leben aufzeigen. Wenn selbst meine Ärzte hilflos mit den Achseln zucken und sagen „Wenn ich das Patentrezept hätte, wäre ich reich.“
Wenn es also so ist, dass nicht jeder Mensch die gleichen Voraussetzungen im Leben mitbringt, mitbringen kann, dann werden wir wohl oder übel damit leben müssen, dass es uns Dicke gibt.
Dann werden wir akzeptieren müssen, dass einfach nicht jeder Mensch dem gerade aktuellen Schönheitsideal entsprechen kann.
Dass es Menschen gibt, die trotz aller Anstrengungen und Mühen dieses Bild nie werden erreichen können. Und dann kann die logische Folge nur sein, dass wir insgesamt toleranter miteinander umgehen sollten. Dass wir nicht gleich zu jedem Menschen ein Urteil parat haben sollten. Dass wir uns einfach mehr für das Leben des Anderen interessieren sollten. Dass wir offener auch auf „nicht-konforme“ Menschen zugehen sollten. Dass wir zumindest versuchen sollten, auch dem Anderen in seiner Andersartigkeit eine Chance zu geben.
Ich träume von einer toleranten Welt, von offeneren Menschen. Vom Interesse am Anderen. Davon, dass Jemand einfach mal fragt: „Hey, gibt es einen Grund für Dein Übergewicht?“ Ich träume davon, dass man mir ohne dieses Stigma begegnet.
Nein, ich muss nicht zwingend mit den höchsten Managern zusammen arbeiten. Mit hohen Politikern, Wissenschaftlern, Meinungsbildnern, die oftmals so weit vom Boden der Tatsachen entfernt sind, dass sie mehr und mehr abheben.
Von daher habe ich meine Bewerbung bei dem Personalberater eh zurückgezogen. Aber ich befinde mich in einem breiten Querschnitt in unserer Gesellschaft, habe mit Führungskräften genauso zu tun, wie mit dem „einfachen“ Handwerker.
Und ich möchte einfach Jeden bitten, sich an die eigene Nase zu fassen, kurz inne zu halten und sich und sein Denken zu hinterfragen.
Wenn dann daraus ein verständnisvollerer, toleranterer, offener, also liebevollerer Umgang würde, wäre ich zwar immer noch eine über ihr Übergewicht unglückliche, aber insgesamt glücklichere Frau.
Jeder sollte für sich selber einmal die Frage danach stellen, wie er / sie Menschen sieht, in seiner Ganzheit wahrnimmt und letztlich beurteilt.
Auch vorurteilt. Oder den Menschen auch nicht als Menschen wahrnimmt.
Das, was mir aktuell passiert ist, lässt mich in einer Art Schockstarre zurück. Ein Schock über das, was mittlerweile unsere Gesellschaft ausmacht.
Aber zum eigentlichen Thema:
Da ich bereits seit Beginn meiner Pubertät mit Übergewicht zu kämpfen habe, hatte ich im Laufe der 30 Jahre reichlich Gelegenheit mich an böse Sprüche, abschätzende Blicke, geringschätzig grinsende Gesichter und mehr Menschen, die sich ab- als zuwenden zu gewöhnen.
Nur heute erreichten die Unverschämtheiten einen ähnlichen Höhepunkt wie mein derzeitiges Gewicht.
Nach Einreichen meiner Bewerbungsunterlagen bei einem bekannten und renommierten Personalberater in Düsseldorf für eine interne Stellenbesetzung wurde ich sehr rasch zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Am Gesprächstermin ließ man mich das berühmte akademische Viertelstündchen warten, bis der Geschäftsführer des Hauses mich zum Gespräch in sein Büro abholte. Nach dem üblichen Geplänkel stellte er die Firma, deren Gründungsgeschichte und das aktuelle Tätigkeitsfeld dar.
Er stellte die üblichen Fragen nach Motivation der Bewerbung, Wechselmotivation, derzeitiges Aufgabenspektrum, etc. Dann nahm er meine zusätzlich mitgebrachte Papierbewerbung in die Hand, hielt das Deckblatt hoch und fragte: „Wie viele Jahre ist das Foto alt?“
Mir blieb die Spucke weg. Da ich selber seit Jahren in der Personalbeschaffung und –auswahl tätig bin und täglich Bewerbungsunterlagen vor mir habe, bewerte und diese natürlich auch regelmäßig mit dem „lebenden Objekt“ abgleiche, weiß ich, wie wichtig gute und authentische Unterlagen sind. Somit ist mein Foto lediglich ein gutes Jahr alt. Aber der 70jährige war der Meinung, dass zwischen dem Foto und meiner Person Welten lägen. Ich fragte – natürlich – wie er das meine. Nach anfänglich leichter Zurückhaltung fragte er dann, was mit mir passiert sei und ob ich nicht mal darüber nachgedacht hätte, abzunehmen.
Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt, dass sich meine Gedanken und Gefühle seit 30 Jahren um kaum andere Dinge kreisen, denn selbst mir ist nicht entgangen, dass „da draußen“ ein Schönheitsideal existiert, welches mit einem BMI von maximal 20 einhergeht und sicherlich nicht bei 40 liegt.
Ein täglich zermürbender Kampf, wenn man erst mal in diesem Teufelskreis gefangen ist. Seit wenigen Jahren weiß ich nun zumindest, warum mein Kampf gegen das stetig steigende Gewicht eine solche Sisyphus-Arbeit ist. Gegen meine Stoffwechsel-Hormon-Störung ist nur ein Kraut gewachsen bzw. nur eine Pille gedreht und genau dieses Pillchen vertrage ich nicht.
Somit bin ich der Wucht des Problems schutzlos ausgeliefert und finde nach 30 Jahren Kampf kaum noch Kraft, um auch nur darüber nachzudenken.
Der geneigte Leser mag denken: „Mann, die soll doch einfach mal Kalorien reduzieren und etwas Sport machen, dann klappt es auch mit dem Abnehmen.“
Ja, glaubt ihr denn wirklich, dass wir Dicken nicht schon alles Mögliche probiert haben? Nur ein Bruchteil aller Übergewichtigen dümpelt dumpf vor sich hin und registriert all die Ausgrenzungen und Anfeindungen nicht. Dieses sind dann zumeist die Chips und Schokolade fressenden Coach-Potatoes, die mit ihren fett triefenden Kletsch-Haaren und mit ihrem alten Schweiß-Geruch in den zwei Nummern zu kleinen Plastik-Klamotten die Welt belästigen. Von DENEN rede ich hier nicht.
Ich rede von den Kämpfern. Von all denen, die – aus welchen individuellen Gründen auch immer – in das Martyrium des Übergewichts geraten sind. Die, die meist mit 15 oder 16 ihre erste Diät hinter sich haben. Die, die danach mehr zunehmen, als sie abgenommen haben. Die, die in ihrer Not nach jedem Strohhalm greifen und immer frustrierter feststellen müssen, dass es eben doch nur ein Strohhalm und kein Baumstamm war. Die, die nahezu alles über sich ergehen lassen:
Sich Nadeln in die Ohren stecken lassen, um wochenlang keinen Hunger zu haben und außer Wasser nichts zu sich zu nehmen. Die, die sich morgens schon zwingen, stinkende Kohlsuppe zu löffeln. Die, die wochenlang ihre Zähne nur noch zum Zähne putzen und zum Aufreißen der Pulverbeutel benutzen, um sich nur von Flüssig-Shakes zu ernähren.
Die, die jede Information über Ernährung aufsaugen, als müssten sie erst lernen wie man atmet. Die, die sich von nahezu jedem dahergelaufenen Menschen sagen lassen (müssen), wie sie „richtig“ essen.
Die, die Kohlenhydrate weg lassen. Die, die Fett weg lassen. Die, die Eiweiß weg lassen. Die, die Obst wegen des hohen Fruchtzuckergehalts weg lassen. Die, die nur noch bestimmte Gemüsesorten essen. Die, die nur Light-Getränke trinken und die sich dann anhören müssen, wie schädlich das sei und die dann noch nicht mal mehr den Kaffee (mit oder ohne Süßstoff) genießen dürfen, weil ihr Tag morgens schon mit Wasser beginnen und abends enden muss. Die, die sich striktesten und eingeschränktesten Ernährungsplänen –den Bibeln – unterwerfen.
Die, die sich mit Freundinnen nicht mehr einfach zum Quatschen, Lästern, Kaffee – oder gar Bier (igittigitt) trinken verabreden können, sondern nur noch Dates zum Walken, Schwimmen, gemeinsames Aqua-Jogging, zum Ernährungsplan-Vergleich, zum Radeln, Scaten oder bestenfalls zum mit-dem-Hund-stramm-Gassi-gehen ausmachen.
Ich spreche von den Menschen, die über mehr oder weniger Jahre mehr oder weniger intensiv gegen jedes Mikrogramm Fett ankämpfen und es dadurch – natürlich – nur noch schlimmer machen. Von denen, die es von vorne herein nie gelernt oder auch im Laufe der Jahre verlernt haben, ein gesundes, „normales“ Verhältnis zum Essen zu entwickeln.
Die irgendwann noch nicht mal mehr Hunger von Durst unterscheiden können. Von denen, die irgendwann so verunsichert sind, dass sie auf die Uhr schauen müssen, um zu wissen, ob sie nun Hunger haben dürfen oder auch nicht. Ich spreche von denen, die sich zunehmend – im wahrsten Sinne – nicht mehr trauen unter Leute zu gehen. Die sich inzwischen so selbstkritisch betrachten, dass aus jedem Spiegel ein Zerrspiegel wird, der den Körper unförmig in die Breite zieht. Und die sich dann – da sie es ja eh schon so wahrnehmen – auch tatsächlich dahin entwickeln und immer breiter werden, da jeder weitere Versuch doch noch schlanker zu werden, ins Gegenteil schlägt.
Die, die immer mehr Selbstzweifel plagen und immer mehr Vertrauen in sich selbst verlieren. Von denen rede ich hier.
Und all diejenigen wissen haargenau, wovon ich rede.
Von dem Schmerz. Von dem Schmerz und der Wut über sich selbst und auf die Welt. Von der Verzweiflung. Von durchwachten und –weinten Nächten. Von Tagen voller Frustration und Angst. Angst davor, niemals ein „normales“ Leben leben zu können. Angst, niemals einen liebenden Partner an der Seite haben zu können, der einen akzeptiert wie man ist, als liebenswerten Menschen. Von dem Gefühl, aufgrund der Kilos schlichtweg der Liebe nicht wert zu sein. Von dem aufkommenden Ekel über sich selbst. Von dem Verlust des Glaubens an sich und dem Verlust der Hoffnung, es doch noch zu schaffen. Von Ausgrenzung und Einsamkeit.
Aber auch von der Dankbarkeit über die paar wenigen aufrichtigen Freunde, die man hat. Freunde, die diesen dicken Menschen nicht nur auf eine Körperform oder –fülle reduzieren, sondern ihn vielmehr in seiner Gesamtheit wahrnehmen. Freunde, die gegenseitig füreinander einstehen. Die die inneren Werte wahrnehmen und Wert schätzen. Die vielleicht sogar vergessen, dass man dick ist. Die einen mit liebevollem Blick betrachten.
Von der Dankbarkeit um diese Freunde spreche ich, die einen jeden Morgen wieder aufstehen lässt. Die doch noch an das Gute im Menschen glauben lässt. Die hilft, die Dinge der Welt differenziert zu betrachten. Genau diese Dankbarkeit ist es, die einen dann doch wieder und wieder kämpfen lässt.
Aber wenn man in einem edel durchdesignten Büro mit einem Menschen sitzt, der in genau dem Moment die Macht des cäsarischen Daumens „Top“ oder „Flop“ inne hat, der einem direkt ins Gesicht sagt: „Du bist zu fett für einen Job.“ ist nichts mehr von Dankbarkeit, Hoffnung, Kämpferwillen übrig. Bei mir zumindest nicht.
Und als dieser Personalberater vor mir saß, und mir erklärte, dass er fachlich nichts gegen mich einzuwenden hätte, dass er mir den Job ohne Weiteres zutraue, dass ich sicherlich eine patente Frau sei, mit der man Pferde stehlen könne, dass ich einen tollen Lebenslauf habe und ein hohes Maß an Kompetenzen mitbringe, aber dass er mich mit diesem Übergewicht nicht seinen Kunden zumuten könne, ist alles in mir in seine einzelnen Bestandteile zerfallen. Mein letztes Fünkchen Selbstwert hatte sich sozusagen im gleichen Moment atomisiert.
Als ob das nicht schon genügen würde, haute er weiter und immer kräftiger in diese Kerbe. „Mensch, machen Sie doch mal Sport. Lassen Sie sich doch nicht so gehen. Sie sind doch eine Frau, Sie wollen doch auch mal schöne Kleider kaufen und nicht immer nur bei Größe XXL schauen. Sie wollen doch auch begehrt werden und bewundernde Blicke auf sich ziehen. Tun Sie doch mal was.“
Jedes Wort, jeder Satz wie ein Fausthieb. Und immer mitten in die Fresse rein.
„Ich meine es doch nur gut mit Ihnen!“ Na klar! Gott sei Dank gibt es solche Gutmenschen unter uns. Was würden wir nur ohne sie tun?
Das Schlimme, Erschreckende, Schockierende an der Sache ist, dass er letztlich gar nicht der Böse, der Buhmann, das Arschloch ist, für das man ihn halten könnte. Er spricht doch nur das aus, was in unserer so genannten „sozialen“ Welt inzwischen Usus ist. Was halt einfach gedacht wird. Was „normal“ geworden ist. Es zählt der schlanke, schönheitskorrigierte und –operierte Botoxkörper und nicht das, was uns Menschen im Gesamten ausmacht. Die Hülle ist wichtiger als das, was drin steckt. Das da drinnen kann hohl und dumm, hinterlistig und falsch und schlicht oberflächlich sein und es ist völlig egal, solange es in einem nahezu perfekten Körper steckt.
Menschen mit sichtbaren Gebrechen jedweder Art sind ja schon gleich so oder so außen vor. Menschen mit Übergewicht sind gleich stigmatisiert.
Völlig selbstverständlich und ganz automatisch meint jeder zu wissen, woran „das“ liegt. Man muss eben einfach nur mal weniger essen und sich mehr bewegen. Ganz automatisch und völlig selbstverständlich wird jedem Dicken unterstellt, er sei faul und dabei gefräßig wie die Raupe Nimmersatt.
Ohne die näheren Umstände zu kennen wird gleich davon ausgegangen, dass wir Dicken immer einfach nur disziplinlos seien. Welch Frevel in einem Land mit preußischen Traditionen. Wir Dicke – so meint man im Allgemeinen – lassen uns ständig gehen. Wir sind uns egal. Wir haben keinen Willen, noch nicht mal Ziele.
Jeder von uns Dicken hat irgendwann schon einmal zu hören bekommen, dass man doch mal weniger essen und mehr Sport machen solle. Dass unser Problem eventuell deutlich vielfältiger sein könnte, bleibt völlig unbeachtet.
Wer würde auf die Idee kommen, einer Magersüchtigen zu sagen, sie solle doch mal wieder etwas zunehmen und sie müsse doch einfach nur etwas mehr essen.
Wer würde auf die Idee kommen, einem Junkie zu sagen, er solle doch mal etwas weniger Heroin spritzen. Er müsse doch nur damit aufhören, dann kommt der Rest schon von allein.
Oder der Alkoholiker, der doch einfach mal nur eine, statt zwei Flaschen Schnaps trinken solle.
Und Junkies, Alkoholiker, alle stofflich gebunden Süchtigen haben sogar noch das „Glück“, dass sie tatsächlich „nur“ den Suchtstoff weglassen müssten.
Mit einer Eßproblematik sieht das gleich ganz anders aus. Und genau da liegt aber auch das Dilemma. Jeder tut es, das essen, und somit meint jeder, sich damit auszukennen. Und die, bei denen es „schief“ geht, müssen es doch einfach nur „anders“ machen. Einfach. Sich halt einfach nicht so gehen lassen. Sich wichtiger nehmen. Sich mehr pflegen.
Jeder meint zu wissen, dass man – also die Dicken – doch einfach nur den Arsch hochkriegen müssten. Unser Leidensweg steht uns halt nicht ins Gesicht geschrieben. Noch nicht mal auf den Bauch oder den fetten Arsch.
Wer von Euch „naturschlanken“ Menschen hat überhaupt jemals darüber nachgedacht, wie es ist, dick und unförmig zu sein? Sich seiner Selbst zu schämen. Wer hat jemals den Arzt ansprechen müssen: „Herr, oder Frau Doktor, bitte helfen Sie mir, ich weiß nicht mehr weiter und ich schaffe es nicht alleine.“ Und wer hat die typische Antwort gehört? „Dann gehen Sie doch zu den Weight Watchers.“
Da war ich schon. Mehrmals. Und in mehr als drei Monaten habe ich mir mühsam knapp vier Kilo runter gerackert. Und wenn dann ein Ereignis eintritt, dass einen zusätzlich aus der Bahn wirft, ist einfach nicht mehr viel mit Kämpfen und Weiterrackern. Nicht nach 127 Abnehmversuchen jedweder Art in 30 Jahren. Das ist unmenschlich.
Es soll mir einer zeigen, wie es funktioniert. Ich mache es. Wirklich! Wenn es funktioniert – und zwar auf Dauer! – mache ich es. Aber keine Selbstkasteiungen mehr. Essen und Hunger als Qual. Und nicht als Lebensquell. Wenn essen und jede Mahlzeit zum Alptraum wird, läuft schwer was schief.
Aber wie kommt man denn überhaupt erst dahin? Die Gründe sind genauso vielfältig wie individuell. Unter Umständen genauso wie eine magersüchtige Person. Nur anders herum.
Wir Dicken kompensieren negative Gefühle häufig mit Essen. Wir haben als Kind Aussagen und Befehle gehört wie „Iss den Teller leer, sonst gibt’s morgen schlechtes Wetter!“ oder „Sei ein braves Kind und iss auf!“ oder „Wenn Du Mami lieb hast, isst Du noch etwas mehr.“
Wir haben Haufen auf unsere Teller geschaufelt bekommen und wollten ja nun nicht für schlechtes Wetter verantwortlich sein. Wir bekamen Süßigkeiten als Belohnung und wurden bestraft, indem wir ohne Essen ins Bett mussten.
So haben wir von klein auf schon nicht lernen können, auf unseren Körper zu hören. Hunger und Sättigungsgefühle wurden uns systematisch aberzogen. Wenn man dann noch in einer unsportlichen Familie aufgewachsen ist, wurden die Weichen für das Dilemma mit dem dicken Ende früh gestellt.
Unsere Elterngeneration will ich hier gar nicht anklagen. Die haben, wie die meisten Eltern, nur das Beste für ihre Kinder gewollt. Als Kriegskinder haben die sicherlich auch in der Regel keine gesunde Einstellung zum Essen entwickeln können. Froh, die Kinder durchzubringen und in ständiger Angst, dass die eigene Brut so hungern muss wie sie selbst, sind sie schlichtweg nicht frei in der „Essenserziehung“ gewesen.
Meine Generation ist oftmals aufgewachsen vor dem Hintergrund, dass ja plötzlich nichts mehr zu essen da sein könnte. Also musste man uns Kinder motivieren, bei jeder Mahlzeit so viel wie es eben geht, zu sich zu nehmen. Dass immer genug da ist, wurde und wird oft schlichtweg missachtet.
So, und wenn dann zu all diesem Dilemma noch oben drauf eine Stoffwechselstörung mit Hormonungleichgewicht kommt, soll mir bitte Jemand die Chance auf ein schlankes Leben aufzeigen. Wenn selbst meine Ärzte hilflos mit den Achseln zucken und sagen „Wenn ich das Patentrezept hätte, wäre ich reich.“
Wenn es also so ist, dass nicht jeder Mensch die gleichen Voraussetzungen im Leben mitbringt, mitbringen kann, dann werden wir wohl oder übel damit leben müssen, dass es uns Dicke gibt.
Dann werden wir akzeptieren müssen, dass einfach nicht jeder Mensch dem gerade aktuellen Schönheitsideal entsprechen kann.
Dass es Menschen gibt, die trotz aller Anstrengungen und Mühen dieses Bild nie werden erreichen können. Und dann kann die logische Folge nur sein, dass wir insgesamt toleranter miteinander umgehen sollten. Dass wir nicht gleich zu jedem Menschen ein Urteil parat haben sollten. Dass wir uns einfach mehr für das Leben des Anderen interessieren sollten. Dass wir offener auch auf „nicht-konforme“ Menschen zugehen sollten. Dass wir zumindest versuchen sollten, auch dem Anderen in seiner Andersartigkeit eine Chance zu geben.
Ich träume von einer toleranten Welt, von offeneren Menschen. Vom Interesse am Anderen. Davon, dass Jemand einfach mal fragt: „Hey, gibt es einen Grund für Dein Übergewicht?“ Ich träume davon, dass man mir ohne dieses Stigma begegnet.
Nein, ich muss nicht zwingend mit den höchsten Managern zusammen arbeiten. Mit hohen Politikern, Wissenschaftlern, Meinungsbildnern, die oftmals so weit vom Boden der Tatsachen entfernt sind, dass sie mehr und mehr abheben.
Von daher habe ich meine Bewerbung bei dem Personalberater eh zurückgezogen. Aber ich befinde mich in einem breiten Querschnitt in unserer Gesellschaft, habe mit Führungskräften genauso zu tun, wie mit dem „einfachen“ Handwerker.
Und ich möchte einfach Jeden bitten, sich an die eigene Nase zu fassen, kurz inne zu halten und sich und sein Denken zu hinterfragen.
Wenn dann daraus ein verständnisvollerer, toleranterer, offener, also liebevollerer Umgang würde, wäre ich zwar immer noch eine über ihr Übergewicht unglückliche, aber insgesamt glücklichere Frau.
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